Sehr geehrte Listenmitglieder,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
gerne möchten wir Sie auf unten stehenden Call for Papers zur fünften
Arbeitstagung der dgv-Kommission für „Religiosität und Spiritualität“ in
der dgv aufmerksam machen.
Mit herzlichen Grüßen der SprecherInnen
Dr. Christine Bischoff (Kiel)
JProf. Dr. Mirko Uhlig (Mainz)
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++++++ Call for Papers ++++++
„Die Kirche im Dorf lassen …“? Zur Bedeutung von Religiosität und
Spiritualität im ländlichen Raum
5. Arbeitstagung der Kommission für „Religiosität und Spiritualität“ in
der dgv
vom 24. bis 26. September 2020
im LVR-Freilichtmuseum Kommern (Mechernich/Eifel)
„Nur in der Stadt kannst du rein religiös sein“, behauptete der
Ethnologe Werner Schiffauer 2011 in einem Gespräch mit dem katholischen
Priester Leo Penta (Schiffauer 2011). Schiffauer äußerte damit die
Vermutung, dass nur die Stadt genügend sozialen und kulturellen Freiraum
zur Gestaltung ganz eigener Vorstellungen des Religiösen wie
Spirituellen biete, die lediglich dort mit Gleichgesinnten umgesetzt
werden könnten. „Auf dem Dorf“ sei Religion dagegen immer stärker in
soziale Lebenszusammenhänge eingebettet und tendenziell
gesellschaftlichen Repressionen unterworfen. Dieser Stoßrichtung einer
behaupteten größeren Vielfalt des Religiösen und Spirituellen im urbanen
Raum folgten seither thematisch einschlägige Tagungen und Publikationen
(z. B. Zarnow/Klostermeier/Sachau 2018). Religiöse und spirituelle
Transformationsprozesse im ländlichen, nicht selten als peripher
wahrgenommenen Raum gerieten dagegen in den letzten Jahren etwas aus dem
Fokus der kulturanthropologischen Forschung.
Die Mehrfachnutzung und Umwidmung sakraler Bauten, unerwartete
interreligiöse Zusammenarbeiten und Allianzen, die bewusste Ansiedlung
religiöser Gemeinschaften, die historische Bedeutung des
„Landjudentums“, die Anwendung alternativ-spiritueller Kulturtechniken,
die Präsenz neureligiöser und neuheidnischer Bewegungen sowie hybrider
Formen des Religiösen und die generelle Bedeutung religiöser
Institutionen als zivilgesellschaftliche Akteure zeigen, inwiefern der
ländliche Raum mitnichten lediglich ein Hort von Bewahrung und Beharrung
ist. Vielmehr finden wir auch hier Möglichkeitsräume
religiös-spiritueller Hoffnungen und Fragen vor, Orte religiöser Auf-
und Umbrüche sowie der Diversität. Die Suche nach und das Entdecken von
Entschleunigung, innerer Zufriedenheit und neuer Kreativität stellen
zwar einerseits Topoi dar, die gerade im ländlichen Kontext befördert
werden. Allerdings motivieren und provozieren sie andererseits
vielfältige religiöse und spirituelle Sinnentwürfe, Lebensstile und
Topographien, die einer dichten Beschreibung und differenzierten
Kulturanalyse bedürfen. Um einer Reproduktion romantischer Stereotype
vorzubeugen, darf dabei natürlich nicht übersehen werden, dass die
ländlich geprägten Regionen Europas trotz etwaiger politischer
Förderlinien mitunter schwer mit den Folgen des demografischen Wandels
und infrastrukturellen Defiziten zu kämpfen haben – was sich u.a. im
Zustand der religiösen Institutionen widerspiegelt. Diesen Aspekten soll
auf der fünften Tagung der Kommission für Religiosität und Spiritualität
in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde in historischer wie
gegenwartsorientierter Perspektive nachgegangen werden.
Folgende Forschungsfragen für diese Auseinandersetzung mit Religiosität
und Spiritualität im ländlichen Raum können leitend sein:
* Wie zeigt sich die religiös-spirituelle Diversität im ländlichen
Raum? Insbesondere sei hier an Entwicklungen etwa im Zuge von Prozessen
der (Binnen-)Migration gedacht, die eben nicht nur im urbanen, sondern
auch im ländlichen Raum stattfinden. Welche Konsequenzen haben diese
Prozesse für dort bereits etablierte und neu hinzukommende religiöse
Gemeinschaften und deren Mit-, Neben- und auch Gegeneinander? Welche
interreligiösen Kontakte und Konflikte, Praktiken der
religiös-spirituellen Beheimatung und Auswirkungen auf das
Erscheinungsbild von Gemeinden gibt es?
* Welche Rolle spielen religiös-spirituelle Einrichtungen und
Bewegungen, aber auch individuelle AkteurInnen bei der Wahrnehmung
zivilgesellschaftlicher Aufgaben bzw. bei der Organisation, Motivation
und Umsetzung bürgerschaftlichen Engagements im sozialen, politischen
und kulturellen Bereich?
* Welche materiellen Spuren (Architektur, Um- und Neunutzungen,
museal-sakrale Dokumentation etc.) hinterlassen religiös-spirituelle
Transformations- und Differenzierungsprozesse?
* Wo beginnt das Ländliche überhaupt und welche Auswirkungen und
Bedeutungen haben diese meist unscharfen Definitionsversuche sowie
terminologischen und semantischen Unsicherheiten auf die
religiös-spirituelle Vielfalt? Verstärken sie die Grenzen zwischen
religiösen Gemeinschaften oder eröffnen sie ganz neue
Gestaltungsspielräume? Und wie werden diese lokal genutzt und
ausgehandelt?
* Welche spezifischen Qualitäten, Wertzuschreibungen, Atmosphären und
Imaginationen gehen mit der Verbindung Religiosität/Spiritualität und
Ländlichkeit einher (z. B. medial, politisch, sozial)? Welche Bilder und
Narrative stehen hierfür zur Verfügung bzw. werden tradiert oder bewusst
konterkariert? Welche kulturellen Wertehaltungen und Bedürfnislagen
spiegeln sich darin und auf welche historischen Tradierungen in Bildern
und Narrativen wird wie und aus welchen Gründen zurückgegriffen?
Ziel ist der interdisziplinäre Austausch zwischen etablierten
WissenschaftlerInnen und NachwuchswissenschaftlerInnen, aber auch
PraktikerInnen etwa im religiös-spirituellen und musealen Bereich. Wir
bitten um Zusendung eines Abstracts (Umfang ca. 2.000 Zeichen) und einer
Kurzvita bis zum 27.01.2020 an: Dr. Christine Bischoff
(bischoff@volkskunde.uni-kiel.de) und Jun.-Prof. Dr. Mirko Uhlig
(uhlig@uni-mainz.de). Geplant ist die Publikation von ausgewählten
Vorträgen. Wir bemühen uns zudem um eine Erstattung oder zumindest
Bezuschussung von Reise- und Unterbringungskosten der Referierenden.