Liebe Kolleg:innen
Gerne möchte ich Sie auf den unten ausgeführten CfP hinweisen: Carolin Amlinger (Literaturwissenschaft, Universität Basel) und ich suchen Beiträge für ein Sonderheft der Fabula (Arbeitstitel: „Fiktionen der Ganzheit – Populäres Erzählen / Populistische Erzählungen“), das sich dem Zusammenhang zwischen populärem Erzählen und Populismus widmet und das wir beide herausgeben werden. Genaueres entnehmen Sie bitte dem CfP – bei Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit besten Grüssen
Sebastian Dümling
CFP: Fabula. Zeitschrift für Erzählforschung (Heft 1-2/2024)
Sonderheft: Fiktionen der Ganzheit – Populäres Erzählen / Populistische Erzählungen
Kaum etwas hat die Sozial- und Geisteswissenschaften der letzten zehn Jahre so sehr beschäftigt wie der Populismus. Dabei hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass Populismus eine «thin ideology» (Freeden 1996) trage und somit kein «Substanz-, sondern ein Relationsbegriff» (Priester 2012) sei, der axiologisch zwischen einem «Wir» und einem «Sie» trenne. Das führt wiederum zu eindeutigen antagonistischen Figurationen – «Wir, das Volk» vs. «Sie, die Politiker» (Dümling/Springer 2020). Populismus lässt sich demnach als eine Sprech- und Erzählform verstehen, die sich um gemeinsame Tropen und Motive bildet, mit denen diese «Differenzpolitik» (Mouffe/Laclau 2006) wirkungsvoll betrieben werden kann: In politischen Konfliktlagen modelliert der Populismus Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit über kollektiv tradierte populäre Erzählgattungen.
Im Fokus des Sonderheftes der Fabula sollen jene erzählerischen Konstitutionsprozesse des Volkes stehen, die das symbolisch-imaginative Populare in populären Formaten entwerfen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Frage, wie politische Figurationsprozesse an Gattungs-, Dispositiv- und Formkalküle rückgebunden werden – mithin also die Frage nach der poetologischen Ordnungsarbeit des Populismus, die über die Partizipation an sozial tradierten Erzähl- und Kommunikationsformaten imaginäre Differenzen modelliert.
Populistische Sprachspiele suchen die Unterscheidung zwischen einem authentisch strukturieren Popularen und einer inauthentischen Elite besonders geltungsstark zu etablieren, indem sie sich populärer kommunikativer Gattungen, medialer Dispositive und literarischer Formen bedienen. Genauer bedeutet dies, dass populistische Kommunikation primär über jene kommunikativ-medialen templates und Arrangements abläuft, deren dominantes Merkmal es ist, Gesellschaft im Modus der Unterscheidung Popular/Nicht-Popular zu beobachten (Hecken 2019; Eiden-Offe 2017). Konkret sind vor allem diejenigen einfachen Formen (Jolles 1930) virulent, denen sich die kulturanthropologische Erzählforschung traditionell widmet: Redewendungen, Verballhornungen, Invektiven sowie Witze, Lieder, Gerüchte, Unterhaltungsstoffe. Diese kommunikativen wie populären Erzählformen sind darauf ausgerichtet, sozial zu diffundieren und eine imaginäre Mehrheit zu adressieren. So kann eine populare Rezeptionsgemeinschaft gestiftet werden, die sich gegen die antagonistische Funktions-, Kultur-, oder Moralelite richtet – Eliten, die eben jene Witze, Invektiven, Redewendungen nicht goutieren bzw. verstehen. Demnach sind populistische Weltbeschreibungen vor allem dann erfolgreich, wenn sie literarische Gattungen und Formen applizieren können, zu deren Logik es gehört, das Populare vom Nicht-Popularen zu trennen, um so eine kollektive Gemeinschaft über kommunikative Gemeinsamkeit zu konstituieren.
Diese Überlegungen will das Sonderheft der Fabula weiterführen, indem es den Zusammenhang zwischen populärem Erzählen und populistischen Diskursen in den Blick nimmt, also danach fragt, inwiefern Populismus auf sozial anerkannte Erzähl- und Kommunikationsformen angewiesen ist, um das Populäre – und seine Gegenfiguren – zu beobachten und so zu konstituieren.
Gesucht werden Beiträge aus der kulturanthropologischen Erzählforschung und deren Nachbardisziplinen (z. B. Literaturwissenschaften, Medienwissenschaften oder Soziologie),
– die sich dem Feld populärer/populistischer Witze, Invektiven und Redewendungen widmen, etwa der Bedeutung dieser Kommunikationsformen in populistischen Diskursen (Stichworte sind hier etwa die «Presstituierten», das «Heiko-Maas-Männchen», «IM-Erika und die 70 Asyltouristen» etc.),
– die das Feld der Erzählgattungen Märchen, Legenden und Sagen bearbeiten, zum Beispiel anhand der Fragen, wie sich märchenhafte Plots in populistischen Erzählungen wiederfinden, oder ob es verwandte Strategien gibt, in epistemisch prekären Erzählformen wie der Sage oder dem politischen Gerücht («die neuen Merkel-iPhones der Flüchtlinge») Geltungsansprüche zu formulieren,
– die das Feld medialer Apparaturen zum Gegenstand haben, zum Beispiel indem sie darauf eingehen, wie digitale Soziale Medien gewissermassen als Dispositive des Populären fungieren können, die besonders geeignet für populistische Kommunikation sind (Strohschneider 2018),
– die das Feld von Pop-Musik, TV-Serien und populärer Literatur untersuchen, etwa wie deren distributive («kulturindustrielle») Seite Popularisierungseffekte generiert oder wie sie auf der semantischen Ebene mit dem Populären/Nicht-Populären verfahren,
– oder auch Beiträge, die unter der Perspektive der Medien- bzw. Literaturgeschichte auf die Genealogie populärer Erzählformen und damit verbunden auf die der sozialen Imagination des Populären eingehen.
Um die Einsendung eines Abstracts (ca. 250 bis 300 Wörter) und einer Kurzbiographie (inkl. wichtigste Publikationen) wird gebeten bis zum 04. Dezember 2020 an Sebastian Dümling (sebastian.duemling@unibas.ch<mailto:sebastian.duemling@unibas.ch>) und Carolin Amlinger (carolin.amlinger@unibas.ch<mailto:carolin.amlinger@unibas.ch>).
Über die Annahme benachrichtigen wir bis zum 15. Januar 2021. Die vollständigen Beiträge sollten bis Februar 2023 fertiggestellt sein und nicht mehr als 50.000 Zeichen umfassen.
Literatur:
Dümling, Sebastian und Johannes Springer (Hg.): Die «einfachen Leute» des Populismus (Schweizerisches Archiv für Volkskunde, 1/116). Zürich 2020.
Eiden-Offe, Patrick: Die Poesie der Klasse: Romantischer Antikapitalismus und die Erfindung des Proletariats. Berlin 2007.
Freeden, Michael: Ideologies and Political Theory. A Conceptual Approach. Oxford 1996.
Hecken, Thomas: «Populismus» und «populäre Kultur». In: Pop-Zeitschrift, 27.5.2019., pop-zeitschrift.de/2019/05/27/populismus-und-populaere-kulturvon-thomas-hecken27-5-2019.
Jolles, André: Einfache Formen. Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Spruch, Kasus, Memorabile, Märchen, Witz. Halle (Saale) 1930.
Laclau, Ernesto und Chantal Mouffe: Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus. Wien 2006
Priester, Karin: Rechter und linker Populismus. Annäherung an ein Chamäleon. Frankfurt am Main 2012.
Strohschneider, Peter: POTUS als Twitterer. In: Zeitschrift für Ideengeschichte, 3/61 (2018), 61–75.
Dr. Sebastian Dümling | Oberassistent
Universität Basel
Seminar für Kulturwissenschaften und Europäische Ethnologie
Rheinsprung 9 | 4051 Basel | Schweiz
Tel +41 (0)61 207 13 48
kulturwissenschaft.philhist.unibas.ch/de/personen-142/sebastian-duemling/
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